Darf ein Kind von einem lebensrettenden Medikament ausgeschlossen werden?

Eine der grausamsten Entscheidungen: Einem Kind das möglicherweise lebensrettende Medikament zu verweigern, weil die klinische Studie noch nicht abgeschlossen ist. Hannah aus Bad Tölz ist zehn Jahre alt und verlernt gerade alles, was sie bereits konnte: Laufen, Sprechen, Fahrradfahren. Sie leidet unter der seltenen und tödlichen Erbrankheit NCL2, auch „Kinderdemenz“ genannt. Bislang gibt es auf dem Markt kein zugelassenes Medikament gegen Kinderdemenz. Hannahs Eltern sind verzweifelt. Aber sie kämpfen. Sie kämpfen gegen die eiserne Haltung des kalifornischen Biotech-Unternehmens BioMarin. BioMarin hat das Medikament BMN 190 entwickelt, das gerade in einer klinischen Studie an Kindern, unter anderem in Hamburg, getestet wird. Einige der betroffenen Eltern berichten von guten Erfolgen: Bei ihren Kindern sei die Krankheit gestoppt worden, ja bei manchen gebe es sogar wieder Lernfortschritte.

Seit Monaten betteln Hannahs Eltern bei BioMarin darum, ihr Kind in die Studie aufzunehmen oder ihnen das Medikament einfach so zu überlassen. Es ist ihre letzte Hoffnung. Ihr Kind muss sonst sterben. Doch BioMarin bleibt hart: Da die Krankheit bei Hannah erst spät diagnostiziert worden ist, kann sie nicht mehr an der Studie teilnehmen. Gemäß SZ argumentiert das Unternehmen wie folgt: Es habe die ETHISCHE VERPFLICHTUNG, die behördliche Zulassung so schnell wie möglich voranzutreiben, um so viele Kinder wie möglich zu retten.

„Kaltherzige Kapitalisten“ ist man versucht aufzuschreien. Die lassen einfach ein Kind sterben, um möglichst schnell Profit zu machen! Doch das ist zu kurz gegriffen. Was steckt dahinter? Pharma- und Biotechunternehmen unterliegen bei ihren Studien strengsten Kontrollen. In den USA wacht die FDA über jegliche Zulassung. Ein mikroskopisch kleiner Fehler in der Studie oder eine unvorhergesehene Nebenwirkung und das Medikament schafft es möglicherweise nie auf den Markt.

Mit der US-amerikanischen Merck & Co. liegt die ethische Messlatte in der Pharmaindustrie hoch: Das Unternehmen hatte in den 80er Jahren entdeckt, dass eines seiner Tiermedikamente in der Lage ist, die tückische Krankheit Flussblindheit, die insbesondere in sumpfigen Gebieten Afrikas und Lateinamerikas auftritt, zu heilen. Obwohl von Anfang an klar war, dass die Patienten nicht einmal Centbeträge für das Medikament aufbringen könnten und die Belieferung in die entlegenen Gebiete schwierig und kostspielig sein würde, hat Merck die Entwicklung, Zulassung und die Distribution mutig vorangetrieben. Bis heute hat Merck die Variante für den Menschen an mehr als 80 Mio Erkrankte ausgegeben mit einem Gegenwert von mehr als 3,5 Mrd. US Dollar.

Was bedeutet das für BioMarin? Würde Hannahs Familie eine Verpflichtung unterschreiben, die BioMarin im Fall unvorhersehbarer Nebenwirkungen von allen Schadensersatzansprüchen und Verpflichtungen entbindet? Sicher würde sie das. Aber reichte das auch aus, um die Behörden davon abzubringen, die Weiterentwicklung und Marktzulassung des Medikaments gegebenenfalls zu stoppen? Denn dann wäre jegliche Hoffnung für alle betroffenen Kinder zerstört.

Wir sehen, es ist ein Leichtes, den schwarzen Peter nur dem Unternehmen zuzuschieben. Wie so oft im Leben ist das Problem viel komplexer. Hat BioMarin wirklich keinen Spielraum? Vielleicht eine Abgabe der Medikamente unter der Hand? Falls doch – wir dürften es nie erfahren.

Petition für Hannah: Save Hannah

Bild: Onvista

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