WIRTSCHAFT


 

Konflikt zwischen Leistungsdruck und Moral

In den vergangenen Dekaden haben insbesondere zweierlei Einflussfaktoren den Arbeitsalltag radikal verändert: Die Weiterentwicklung der Kommunikationstechnik und die Globalisierung. Binnen eines Wimpernschlags sind Informationen verfügbar und Kommunikation rund um den Globus zu minimalen Kosten möglich. Innerhalb der letzten vierzig Jahre stieg der Anteil derjenigen deutschen Erwerbstätigen, die im Dienstleistungsbereich beschäftigt sind, von 45% auf 74%, zu Lasten des produzierenden Gewerbes. Als oft nicht standortgebundene Tätigkeiten und dank Internet und moderner Telekommunikation können Wissens- und Dienstleistungsjobs rund um den Globus besetzt werden. Die zunehmende Qualifizierung in den Schwellenländern begünstigt die Flucht hochqualifizierter Jobs aus Deutschland, was eine zunehmende Arbeitsgeschwindigkeit, steigenden Erwartungsdruck seitens Arbeitgebern und Kunden und damit erhöhten Leistungsdruck nach sich zieht.

Es wird schwieriger, sich zu behaupten oder gar in der Unternehmenshierarchie aufzusteigen. Der Wettbewerb nimmt zu, die meisten Führungskräfte müssen rund um die Uhr erreichbar sein, Jobsicherheit gehört dem letzten Jahrtausend an. Upor out – wer nicht aufsteigt, bleibt auf der Strecke. Insbesondere das mittlere Management ist im Zuge des „Lean Management“ seit Jahren immer höheren Arbeitsvolumina und steigendem Rationalisierungsdruck ausgesetzt. Mittlere Führungskräfte sehen oftmals ihre Ideen und Vorschläge nur unzureichend berücksichtigt, wohingegen sie gezwungen sind, Entscheidungen umzusetzen, an welchen sie nicht beteiligt waren.

Mehr als die Hälfte der in einer aktuellen Umfrage der Dr. Jürgen Meyer Stiftung berücksichtigten mittleren Führungskräfte gaben an, schon einmal gegen ihre Wertvorstellungen gehandelt zu haben, um Vorgaben zu erfüllen. Besonders stark sehen sich Manager der Finanzdienstleistungsindustrie diesen Konflikten ausgesetzt.

Reputation und soziale Medien

Sprechblase-Unternehmensethik_Wirtschaft

Umweltvergehen, Lustreisen auf Firmenkosten, Zinsmanipulationen der Investmentbanken oder die Arbeitsbedingungen von Textilarbeitern – die Öffentlichkeit begegnet diesen Stichworten mit Abscheu. Sie zeigen uns überdeutlich, wie stark sich manche Ereignisse auf Ansehen, Markenwert, Umsätze und damit auch den Börsenkurs von Unternehmen auswirken können.
 
Allein schon unter Reputationsgesichtspunkten muss die oberste Maxime der Unternehmen sein: Hände weg von toxischen Mitarbeitern, egal wie kompetent sie auf der fachlichen Ebene sind.

Einer Managerumfrage des internationalen Versicherungskonzerns ACE zufolge betrachten 80% der europäischen Führungskräfte die Reputation des Unternehmens als wichtigstes Asset. Ganze 90% vertreten die Auffassung, dass das Reputationsrisiko die am schwierigsten zu managende Risikokategorie überhaupt sei.

Die zunehmende Bedeutung von Reputation im Kontext globalen Wirtschaftens lässt sich auch anhand der steigenden Ausgaben für Compliance erahnen. Kein Wunder, sind doch die durchschnittlichen Kosten von Compliance-Verstößen knapp dreimal so hoch wie die Aufwendungen für ein funktionierendes Compliance-System.

Das rasante Wachstum der sozialen Medien wirkt dabei als Multiplikator. Der überwiegenden Mehrheit der Unternehmen dämmert erst seit kurzem, dass Facebook, Twitter und Co. in der Lage sind, binnen Minuten weite Teile der Reputation und des Markenwertes auszulöschen. Indem es moralische Wertvorstellungen ignoriert, riskiert ein Unternehmen, seine Legitimation seitens der Gesellschaft zu verlieren. Die Wirtschaft reagiert in der Breite mit der Ernennung von Risiko- und Krisenmanagern für den Bereich soziale Medien, aber letztlich bleibt der wirksamste Schutz gegen einen Reputationssupergau eine ethisch einwandfreie Unternehmenskultur.

Finanzindustrie: Druck der Öffentlichkeit wächst

Auch im Jahr 2014 belegen Banken und Finanzdienstleister wieder den letzten Platz, wenn es um das Vertrauen von Öffentlichkeit und Gesellschaft geht. Das Image der Finanzbranche wird trotz Ende der Finanzkrise weiter von Skandalen erschüttert: Zinsmanipulationen, Managerboni, fragwürdige Verbriefung von Kreditrisiken, Goldpreisabsprachen, staatliche Bankenrettung und unzureichende Risikoaufklärung im Filialgeschäft und Beihilfe zur Steuerhinterziehung mittels Offshore-Konten. Hinzu kommen überdurchschnittlich viele Burnout- und Suizidberichte von hochrangigen Mitarbeitern, die sich dem massiven Leistungsdruck sowie dem oftmals groben Umgang nicht mehr gewachsen fühlten. Die Branche hat darauf über die Maßen mit weiterer Regulierung und Vorschriften geantwortet.

Angesichts einer fast 90%igen Durchdringung kann man mit Fug und Recht behaupten, dass Kodizes bei Finanzdienstleistern mittlerweile fest verankert sind. Dabei stellt sich die Frage, weshalb der Nachrichtenfluss an Skandalen dennoch nicht abreißt. Eine mögliche Antwort ist, dass die Ethikstandards nur von einer kleinen Gruppe an Mitarbeitern bzw. gar von externen Beratern erarbeitet und damit von oben aufoktroyiert werden. Dies birgt das Risiko, dass sich die Mehrheit der Mitarbeiter nicht damit identifizieren kann. Würde jedoch die mittlere Führungsebene bei der Erarbeitung miteinbezogen, müsste sie später nicht Vorgaben umsetzen, an deren Verabschiedung sie nicht mitgearbeitet hat. Ein weiterer Erklärungsversuch ist die Beobachtung, dass operatives Geschäft und Kodex eine Art Parallelexistenz führen, die Mitarbeiter also mit dem theoretischen Konstrukt „Code of Conduct“ in ihrem Tagesgeschäft nicht in Berührung kommen. Abhilfe können hier spezielle Seminare oder Impulsvorträge bei Firmenveranstaltungen schaffen.

Zu diesem Dilemma befrag, erzählt Nicole Schillinger: „Meiner eigenen Erfahrung aus fast fünfzehn Jahren Investmentbanking zufolge bewirken die unzähligen Diversity-, Geldwäsche-, Compliance- oder sonstigen standardisierten und meist online durchgeführten Ethiktrainings zwar ein gewisses Bewusstsein für die potenziellen Einbußen bei Zuwiderhandlung: Jobverlust des Individuums und Reputations- bzw. Ertragsverlust auf Unternehmensebene. Jedoch werden diese Trainings meist lustlos während Telefonkonferenzen oder am Ende eines zwölfstündigen Arbeitstages durchgeführt und bewirken keinerlei Änderung der intrinsischen Motivation, künftig stärker verantwortungsbewusst zu handeln.“